Samstag, 6. Juni 2009

Der Candomblé-Kult in Brasilien

Was die Sklaven aus ihrer afrikanischen Heimat mit nach Brasilien brachten

Als Diogo Cão im Jahre 1483 von Guinea zurück nach Portugal segelte, befanden sich an Bord vier junge Bantus, die dem Hofe vorgestellt werden sollten. Das zünftige Geschäft mit afrikanischen Sklaven lief erst gegen Ende des 15. Jh. richtig an. Die Schwarzen wurden zunächst zu den „Inseln" - Madeira, Azoren, Kapverden - verschifft, bis sich der Sklavenhandel im 16. Jh. auf Brasilien konzentrierte. 1585 zählte man von Recife bis Rio bereits 57.000 Seelen, darunter 14.000 Negersklaven.
Die Sklaven aus Afrika beeinflussten durch Sprache, Ernährungsgewohnheiten und Gebräuche, die sie aus ihrer Heimat mit nach Brasilien brachten, vor allem auch das religiöse Leben der Indigenen, der Europäer und der Mestizen, die sie jenseits des Ozeans antrafen, so dass sich graduell eine ganz spezifische Zivilisation entwickelte, die es am Ende sogar fertigbrachte, dass sich der lusitanische Katholizismus in der Kolonie veränderte, se amorenou e se amulatou, dass er „dunkler" wurde und sich „mulattisierte" wie Gilberto Freyre zu sagen pflegte. Besonders die „sudanesischen" Sklaven - Nagô, Gêges und Fanti-Achantis - die über ein beachtliches kulturelles Niveau verfügten, brachten in die Neue Welt ein gut entwickeltes religiöses Wissen mit, das sich sowohl auf legendäre Inhalte und verehrungswürdige Gottheiten als auch auf bestimmte Zeremonien, Formeln und Gesänge bezog.
Während des Transports auf den Sklavenschiffen verloren die zu Stücken - peças -degradierten Verschleppten, ihre Personalität und Identität: den afrikanischen Namen, die Freunde, in vielen Fällen die Familie, und wurden zu Objekten, zu Wesen ohne Rechte, ohne Ehre, ohne irgendwelchen Besitz, doch ihre Kultur, ihre Geschichte, ihre persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen und ihre Glaubensvorstellungen konnten auch durch die Versklavung in Übersee nicht ausgelöscht werden. Eine formelle Zwangschristianisierung mittels der zumeist unmittelbar vor der Einschiffung in Afrika oder während des ersten Jahres in der neuen Welt vollzogenen Taufe und die damit verbundene „christliche" Namensgebung änderte daran nichts. Die tief in den Gemütern der Verschleppten verwurzelte Religiosität drängte nach Möglichkeiten sich auszudrücken. So entstanden in der Fremde Kulte, in denen heimatliche Riten, zu denen auch der Gebrauch von spezifischen Amuletten, die sozusagen den persönlichen „Schutzengel" verkörperten, zu neuem Leben erweckt wurden. Es war Sitte, dass jeder nach Übersee verschleppte Afrikaner, wie zuvor sein Vater, Großvater und alle seine Vorfahren einen guia, einen Schutzengel, einen orixá protetor besass. Das Bewusstsein, dass er sich, wie dies bei allen seinen Ahnen der Fall gewesen war, unter der Protektion seines persönlichen Führers, des orixás, befand, verlieh ihm die notwendige Durchhaltekraft in einer schier ausweglosen und nahezu unerträglichen Situation. Er verstand sich als Glied einer langen Kette von Vorfahren, und auch im Elend, in der Fremde, fühlte er sich von den mächtigen Ahnengeistern beschützt. In den Quartieren der Schwarzen tauchten ebós - Fetische - auf und die Sklaven trafen sich entweder heimlich oder geduldet in quilombos. So überlebte das Herzstück der afrikanischen Kultur für den nach Brasilien verschleppten Schwarzen in Gestalt seiner Religion.
Seitens der Grundherren wurde die religiöse Praxis der Sklaven, bei der es sich um eine besondere Variante der katholischen Volksfrömmigkeit zu handeln schien, nicht behindert. „Uma seita africana"- „eine afrikanische Sekte", heißt es noch heute in Bezug auf die Teilnehmer an katholischen Messen, bei denen bestimmte afrikanische Elemente gestattet sind. Den verborgenen Hintergrund eines durch die Umstände entstandenen Kultes, der auf die aus Afrika nach Brasilien verpflanzten religiösen Praktiken der Nagôs und Iorubás zurückging, erkannten die Fazendeiros offenbar in aller Regel nicht.

Das Verbot des Candomblé-Kultes und seine polizeiliche Verfolgung

Abgelegene Plätze - eine verborgene roça oder ein in unzugänglichem Gelände versteckter terreiro zum Singen und Tanzen - spielten in der Entstehungsgeschichte des Candomblé-Kultes eine wesentliche Rolle. Nicht selten befanden sich solche Stätten in unmittelbarer Nähe von quilombos, wohin sich entlaufene Sklaven geflüchtet hatten. Die Anhänger afrikanischer Riten suchten sich zur Pflege ihrer religiösen Traditionen insbesondere dann solche Orte aus, wenn die Sklavenhalter und Grundbesitzer ihnen die Verehrung der orixás verwehrten. Wie sie es aus ihrer Heimat gewohnt waren, statteten sie die verborgenen Kultstätten mit all den Gegenständen aus, deren es bedurfte, um den orixâs in angemessener Weise zu dienen.
In den Zeitungsarchiven Bahias sind wertvolle Hinweise auf polizeiliche Maßnahmen gegen den Candomblé-Kult aus der zweiten Hälfte des 19. Jh. zu finden. So ist dem Jornal da Bahia vom 31.5.1855, die Verhaftung mehrerer crioulas livres, escravos und africanas zu entnehmen, die an einem Engenho Velho genannten Ort „bei einem sogenannten Candombé" angetroffen worden waren. Das Jornal da Bahia vom 17.77.1859 vermeldet, der fetichista Grato, pai eines terreiro de candomblé, sei von der Polizei auf einem portugiesischen Schiff nach Afrika abgeschoben worden. Im Diário de Notícias (6.10.1896) wird vermeldet, der Polizeichef habe die Schließung eines candomblé in der Region Gantois angeordnet. Im 20. Jh. war der Druck der obrigkeitlichen Repression nicht geringer. A Tarde, (20.8.1928) beeilte sich zu kommentieren: „Wenn die Trommeln dröhnen - Polizei in einem afrikanischen Sanktuarium - Es tut not, die Stadt von diesen Räuberhöhlen zu reinigen ... Die gestrige Razzia war von Erfolg gekrönt, doch müssen ihr weitere in anderen Distrikten der Stadt folgen." Der Diario da Bahia (10.1.1929) monierte: „In keiner Stadt Brasiliens gibt es so viele verdammenswerte Sitten wie in Bahia." Danach nimmt das Blatt Bezug auf „Praktiken des niedrigen Spiritismus", bei denen Menschen in Trance verfielen, unartikulierte Laute von sich gäben und in Bewegungen verfielen, die an Epilepsie und Hysterie erinnerten. Es sei der Geist des Caboclos, heißt es, der in sie gefahren sei. Die Polizei müsse verstärkt Patrouillen einsetzen, um diese Räuberhöhlen, zu überraschen. „Bahia ist heutzutage kein Umschlagplatz für Sklaven mehr, wie zu Zeiten der Kolonie. Es ist eine der reichsten Capitalen des Landes; also rotte man in ihr den Fetischismus aus!" A Tarde (22.3.1929) triumphierte: Pae Quinquim está no xadrez - Heiligenvater Quinquim im Gefängnis" In weiblicher Kleidung habe der Zauberer getanzt und inmitten eines Kreises halbnackter Frauen gesungen! Da die Nachbarn wegen der bizarren Trommelrhythmen nicht hätten schlafen können, hätten sie die Polizei gerufen. Im terreiro Pae Quinquim habe die Polizei fast nackte Negerinnen angetroffen, die am Boden knieten und einen Kreis um eine andere Frau, eine farbige Mestizin, bildend, die unschickliche Lieder sang. Kaum hatte sie ausgesungen, ordnete die Obrigkeit ihre Verhaftung an. Die Frau mit der Hautfarbe einer Mestizin fingierte in Trance zu sein. Als Leutnant Vergne sich ihr näherte, sah er mit Entsetzen, dass es sich um einen Mann in Frauenkleidern handelte! Pae Quinquim hatte sich verwandelt ... Die Anwesenden wurden alle „in ihrer karnevalesken Kleidung" und „mit niedergeschlagenen Augen" abgeführt. Nachdem er verhört worden war, sperrte man den pae de santo in eine Gefängniszelle.

Der Candomblé-Kult als subversive Bedrohung der Vargas-Diktatur

Die Ächtung der afro-brasilianischen Kulte überdauerte die Auflösung des Kaiserreichs. Noch während der Vargas-Diktatur wurden die Candomblé-Kultstätten immer wieder von der Polizei heimgesucht und die mães-de-santo, - "Mütter der Heiligen" - wochenlang ins Gefängnis geworfen. Die macumbas wurden verwüstet und Kultgegenstände zerstört. A Tarde (19.4.1932) bezog sich auf die Verhaftung von paes e mães de santos und auf die damit verbundene Konfiszierung von bugiganga - „wertlosem Kram". Damit waren Gegenstände gemeint, wie sie von den candomblezeiros in ihren pegis versteckt gehalten würden, wie Kleidungsstücke, Federschmuck, Pfeil und Bogen, Trommeln etc. Mãe Julia berichtete von der polizeilichen Verfolgung bis gegen 1953 in Ceará, wo sich die Anhänger der Umbanda aus Furcht vor Razzien und Verhaftungen im Wald versammelten, wie zu Zeiten der Sklaverei. „Man mußte sich verstecken, denn die Polizei pflegte alle Welt festzunehmen, es war eine dauernde Verfolgung." Candomblé wurde zu einer subversiven Angelegenheit.
Zu den besonderen Schikanen zählte die Verordnung, dass alle terreiros in Bahia bei der Sittenpolizei im Amt für Öffentliche Sicherheit und Ordnung zu registrieren waren. In einem Gesetz aus dem Jahre 1934 hatte man die afro-brasilianischen Kultgemeinschaften in Rio unter die Jurisdiktion des Departamento de Tóxicos e Mistificações da Polícia do Rio de Janeiro, und dort unter die Aufsicht der Abteilung Costumes e Diversões gestellt, die es mit Angelegenheiten zu tun hatte, welche mit Alkohol- und Drogen, illegalem Glücksspiel sowie mit der Prostitution zusammenhingen. In Recife konnte man es im Gefolge des 1934 von Gilberto Freyre und Ulysses Pernambucano organisierten I. Congresso Afro-Brasileiro in Recife, schon als Erfolg verbuchen, dass der damalige Chef der Sicherheitspolizei einwilligte, die Zulassung der afro-brasilianischen Kulte und die Kontrolle über sie den Rabauken der Polizei zu entreißen, um sie dem Dienst für Sozialhygiene zur Betreuung von Psychopathen in Pernambuco - also Ärzten, Psychiatern, Psychologen und Sozialarbeitern zu übertragen.
Erst in der Nachkriegszeit, 1945, ließ der polizeiliche Druck nach, und 1946 garantierte die Verfassung allgemeine Religionsfreiheit. Auf Grund einer direkten Eingaben der geachteten Kultpriesterin Mãe Aninha an Getúlio Vargas verabschiedete dieser das „Trommel-Dekret", mit dem die ungehinderte Religionsausübung für die Anhänger der afro-brasilianischen Kulte ermöglicht wurde. Erst in den 60er Jahren erfolgte ein wichtiger Schritt in Richtung auf die offizielle Anerkennung der afro-brasilianischen Kulte, als man sie in die Religionsstatistik aufnahm, was durch ihre Einbeziehung in den Fragebogen des Brasilianischen Instituts für Geographie (IBGE)eingeleitet worden war.
Man schätzt, dass ca. 20% der Bevölkerung Brasiliens afro-brasilianischen Kulten anhängt. Allein in Bahia mag Candomblé mit 1500 terreiros vertreten sein. Viele der bedeutenderen Zentren von Bahia haben Filialen in Rio errichtet; heute soll es dort 30.000, in São Paulo 42.000 Kultzentren geben. Im Großraum Recife werden 20.000 vermutet. Was Porto Alegre betrifft, so nennt eine jüngere Untersuchung die überraschend hohe Zahl von 11.680 Zentren in Rio Grande do Sul, davon 2.500 in Porto Alegre und weitere 4.000 in Groß-Porto Alegre.
Pai Edu, Pai-de-Santo eines berühmten Kultzentrums in Olinda, das ich vor Jahren besuchte, erklärte, „die Karnevalsumzüge sind eigentlich von Exu. Man fuhr den Orixá spazieren. Früher hat die Polizei die Kultvorsteherinnen immer wieder verprügelt und ihre Kultstätten zerstört. Aber die Leute konnten ohne ihre Religion nicht leben. So haben sie eine Art Ritual entwickelt, das sie auf der Straße praktizierten. Wenn die Polizei sie anzugreifen drohte, beschwichtigten sie diese und sagten: Aber nein, das ist doch Karneval.
Um der Verfolgung zu entgehen, tarnten die Schwarzen ihre religiöse Verehrung, indem sie ihren Gottheiten die Namen christlicher Heiliger gaben. Darauf, vor allen Dingen, ist der gern als „synkretistisch" apostrophierte Charakter des Kultes zurückzuführen.

Die Symbiose Yoruba-Religion mit dem Volkskatholizismus

Wenn versucht wird, das Wesen des Candomblé zu beschreiben, greift man gern auf das Phänomen des „Synkretismus" zurück. Der Franziskaner Hugo Fragoso, mit dem ich darüber sprach, resümierte ein wenig spöttisch: „Der Schwarze kennt keinen Synkretismus, nur eine Symbiose". Erst die Weißen mit ihren aristotelischen Kategorien hätten den Glauben der Sklaven als „Synkretismus" oder „Verschmelzung" betrachtet. In Wirklichkeit hatte der Schwarze sich - wie übrigens vorher der Jude im streng katholischen Iberien oder später der cristão-novo in der portugiesischen Kolonie Brasil - zwangsläufig lediglich „akkommodiert". Dies wird für jedermann augenscheinlich, wenn man an die Anpassung der „banda" an das katholische Kirchenjahr denkt. Während des Kirchenjahres, in welches der Festkalender der afro-brasilianischen Religion sich fast nahtlos eingefügt hat, werden die großen Heiligenfeste im Einklang mit der Kirche begangen, angefangen beim Fest des Göttlichen Heiligen Geistes (in São Luís), hin zu den Gedenktagen von Santa Joana D‘Arc, Santa Rosa de Lima, São Raimundo, São Benedito, São Lázaro, Santo Antonio, São Sebastião etc. und Volksfesten wie São João oder Bumba-Meu-Boi. Die luso-brasilianische Volksfrömmigkeit drückt sich mit besonderer Vorliebe in den terreiros aus. Die „Akkommodation" ist auf beiden Seiten perfekt!
Indigene und afrikanische Traditionen vermischten sich mit iberischen Bräuchen zu einer Form des religiösen Tropikalismus, die bei den zahlreichen katholischen Festen und Prozessionen zur Geltung kam, besonders bei den Umzügen zur Zeit des Carnaval. Pai Edu, Pai-de-Santo eines berühmten Kultzentrums in Olinda, erklärte: „die Karnevalsumzüge sind eigentlich von Exu. Man fuhr den Orixá spazieren. Früher hat die Polizei die Kultvorsteherinnen immer wieder verprügelt und ihre Kultstätten zerstört. Aber die Leute konnten ohne ihre Religion nicht leben. So haben sie eine Art Ritual entwickelt, das sie auf der Straße praktizierten. Wenn die Polizei sie anzugreifen drohte, beschwichtigten sie diese und sagten: Aber nein, das ist doch Karneval!

Dürfen Schwarze trommeln und tanzen?

Ob man den Schwarzen bei derartigen Anlässen erlauben durfte, ihre Trommeln zu betätigen und sich ihren traditionellen Tänzen hinzugeben, war eine ernstliche Frage. Für nicht Wenige unter den streng-katholisch geprägten Weißen waren die ihrer Auffassung nach viel zu freizügigen Darbietungen der Schwarzen oft lästerlich, unanständig und - besonders die in den afrikanischen Tänzen üblichen erotischen Szenen - sexuell anstößig. Die Rhythmen der batuques erschienen ihnen „barbarisch", die Gesänge in unverständlichen Sprachen machten ihnen Angst. Wurden jedoch, wie 1814 aus Bahia vermeldet, die unter den Negern üblichen und Tänze in den Gassen verboten, so blieb es dennoch gestattet, dass sich die Sklaven auf den Plätzen von Graça und Barbalho bis zum toque das Ave-Marias, bis zum Abendgebet, zum Tanz versammelten, zumal „viele Herrschaften die Nützlichkeit anerkennen, die Schrecken der Gefangenschaft zu verringern, indem sie ihren Sklaven erlauben, sich zu vergnügen, so dass sie jeden Tag für ein paar Stunden ihren traurigen Status vergessen." In einer von Haus aus ungemein festfreudigen Gesellschaft, wie der luso-brasilianischen, blieb es dann nicht aus, dass die indigenen und afro-deszendenten Ethnien ihre besonderen, bestimmten „Heiligen" gewidmeten, Feste entwickelten.
Für den Kolonisten aus Portugal ebenso wie für den bereits in Brasilien geborenen Zuckerrohrpflanzer war die Verehrung der Heiligenfiguren das Selbstverständlichste von der Welt. Auch die Messe war für diese Menschen nichts anderes als eine fromme Zeremonie, die ihnen im Grunde unverständlich blieb, zumal sie in einer Sprache zelebriert wurde, die keiner verstand, und - wie es mit solchen Dingen immer und überall geschehen war - vermischte sich auch bei ihnen Fremdes, Profanes, Vor- und Ausserchristliches mit den ererbten religiösen Riten und Bräuchen zu einer autochthonen Form des Katholizismus. Der Volkskatholizismus mit seinem ausgeprägten Heiligenkult sei, wie Gilberto Freyre bemerkte, eine der Quellen gewesen, die „den afro-brasilianischen Synkretismus" gespeist hätten. In der Tat lassen sich verschiedene Parallelen zwischen dem traditionellen Katholizismus und den afro-brasilianischen Religionen aufzeigen, angefangen bei einem ausgeprägten Ritualismus und Symbolismus bis hin zum Kult der Heiligen, und es darf wohl ohne zu übertreiben hinzugefügt werden, dass es, je länger, desto mehr, auch eine gewisse Rückkoppelung in Richtung Volkskirche gegeben hat. Nicht von ungefähr sagte der verstorbene Erzbischof von Salvador und Primas von Brasilien, Dom Avellar Brandão, einmal; „Dieser caráter mestíço e cabóclo, die mestizenhafte Art des Candomblé dieser spirituelle Tropikalismus, den Candomblé in sich begreift, verleiht diesem Kult eine bemerkenswerte Anziehungskraft. Ich bin der Ansicht, dass der Candomblé als religiöser und in seinen Absichten ernsthafter und authentischer Ausdruck, Respekt verdient."

Fusion aus Katholizismus, Ahnenkult und Schamanismus

Da sowohl die Schwarzen als auch die Indios von Haus aus dem Ahnenkult anhingen und an Familiengeister glaubten, konsolidierte sich der „Heilige" - santo - des Volkskatholizismus und wurde als orixá - eine Art himmlischer Helfer - in den Kult einbezogen.
Die mestizenhafte Art des Candimblé zeigt sich in besonderer Weise auch in der Akkomodation an die katholische Marienverehrung. Die Gattin des Oxalá aus dem Yorubakult, die Meeres- oder auch Liebesgöttin Yemanjá, verwandelte sich in Nossa Senhora do Rosário - Unsere Liebe Frau vom Rosenkranz, in die Beschützerin, die bei Konflikten helfen, Zweifel vertreiben, Lebensprobleme lösen, Unglückliche trösten sollte. Yemanjá wird im Candomblé-Kult mit Maria der Jungfrau bzw. der Gottesmutter, Nossa Senhora da Conceição da Praia, Nossa Senhora da Glória, Nossa Senhora dos Navegantes, Nossa Senhora do Rosário, der Virgem Stella Maris etc., aber auch mit Yara aus der indigenen Mythologie gleichgesetzt. In der Zeit von Dezember bis Mai werden der Göttin des Meeres immer wieder oferendas - Geschenke bzw. Opfergaben - von den filhos de santo an die unzähligen Strände des Atlantischen Ozeans gebracht.
Was den Kult der orixás - bezeichnen wir sie einmal als Kräfte, welche die Natur und ihre Erscheinungen wie Gewässer, Wind, Wälder, Blitz usw. kontrollieren - betrifft, waren und sind die Anhänger der afro-brasilianischen Religionen nicht dogmatisch rigoros. In der Wildnis Brasiliens tauschten negros und índios ohne Vorbehalt ihr Wissen aus. So lernten einerseits die índios die Geheimnisse der afrikanischen Magie, während die negros vom índio die Magie des sertão kennenlernten. Beide Weisen der Magie haben sich profund zu einer einzigen magischen Vorstellungswelt vereinigt, woraus sich grundlegende Modifikationen der ursprünglichen afrikanischen und gleichzeitig auch der originären indianischen Kulte ergaben. Dabei darf man jedoch auch die Tatsache nicht übersehen, dass vor der Vermischung indigener und afrikanischer Elemente bereits ein „Austausch" zwischen dem iberisch-lusitanischen Katholizismus und dem indigenen Schamanismus stattgefunden hatte. Die índios vermeinten in den Manifestationen des christlichen Glaubens durch die Missionare bestimmte Elemente wiederzuerkennen, die ihnen aus ihrer eigenen Kultur geläufig waren, was letztlich die Akkulturation in Bezug auf den spanisch-portugiesischen Volkskatholizismus erleichterte. Andererseits wissen wir aus der Geschichte der Jesuitenreduktionen, dass auch die Missionare aus pädagogischen Gründen bestimmte Elemente aus der indigenen Kultur - z.B. Tänze und Gesänge - zur „Anknüpfung" übernommen haben.
Orixás werden in der Nagô-Sprache die transzententalen jenseitigen Mächte genannt. Das Volk konzentriert seine Verehrung mehr oder weniger auf ein Dutzend (ähnlich wie die Verehrer katholischer Heiliger, die in der Regel auch mit einem halben Dutzend von ihnen für den eigenen Gebrauch auskommen).
Oxalá, der höchste Gott des Candomblé-Kultes, steht in der Hierarchie der orixás an oberster Stelle; darum wird er auch mit Jesus Christus, O Senhor do Bomfim, dem verehrten Patron der Stadt Salvador de Bahia, oder dem Bom Jesus dos Navegantes etc. identifiziert. Seine Bekleidung ist völlig weiß, woraus u. a. folgt, dass an diesem Tag in der Hauptstadt des Candomblé - Bahia de Todos os Santos - viele Leute weiße Kleidung tragen. Oxalá wird durch zitronengrüne Muscheln, umgeben von einem Ring aus Blei, repräsentiert, Symbole für Fertilität und Reichtum. Im pegi - dem „Allerheiligsten" - ist für ihn ein Fetisch aufgestellt. Er wird am Freitag verehrt. Seine bevorzugten Tiere sind die Ziege, das weiße Huhn und der Täuberich.

Tieropfer nach dem Gesetz Moses

Auch Tieropfer gehören zum Candomblé-Kult, und nicht nur zu diesem. Es kann durchaus geschehen, dass man beim Besuch in einer, im Hinterland von Salvador gelegenen Dorfkapelle ein Tieropfer vorfindet, ein Huhn vielleicht, das einem orixá bzw. Schutzgeist von seinem filho dargebracht worden ist. Sagte nicht Mãe Aninha: „Wir sind ebenso Christen wie die Katholiken. Doch wir befolgen auch das Gesetz Moses. Der hat angeordnet, dass die Opfergaben aus Schafböcken, Ziegen, Ochsen, Hühnern, Tauben usw. bereitet werden sollen. Wir befolgen lediglich seine Gebote."
Als ich meinen Freund, den pai-de-santo Roberto Mauro, darauf ansprach, gab er mir zur Antwort: „Ich bestreite nicht, dass es Tieropfer gibt. Das Tieropfer, das beim Zeremonial des orixá - wir nennen es axé (einer Lebenskraft spendenden heiligen Handlung ) - in Gebrauch ist, besteht aus dem Blut, das auf dem Altar als Opfergabe für orixá dargebracht wird. Es ist die Energie des Lebewesens, die vom orixá absorbiert wird. Was vom Opfer übrig bleibt, ist das Fleisch, das dann ganz und gar an die filhos verteilt wird, in einem Tontopf über Kohlenfeuer gekocht, gut gewürzt und sehr wohlschmeckend, mit geröstetem Maniokmehl serviert und von den filhas zur Stillung ihres geistlichen Verlangens verzehrt, es ist wie bei einer Kommunion, denn alle essen von diesen Tieren. Die Zahl der Tieropfer wird täglich geringer", fuhr er fort, „freilich nicht, weil das einschlägige Wissen abnimmt, sondern weil sie zu teuer sind wie alles immer teurer wird! Dessen ungeachtet gibt es in meinem Haus weiterhin solche Opfer; es ist allerdings möglich, dass ihre Zahl weiter abnimmt. Solange der orixá diese Mythologie nicht geändert haben will, bleibt im Grundsatz alles wie gehabt. Eine Änderung kann es nur geben, wenn es angeordnet wird. Ich gehe davon aus, dass dies eines Tages geschehen wird, genau so wie alle anderen Religionen sich ebenfalls in Richtung auf einen stärker spirituellen Symbolismus entwickelt haben. Sicherlich wird das afrikanische Bewusstsein eines Tages an diesen Punkt gelangen; schließlich ist auch die heutige Praxis von derjenigen, die es vor 400 Jahren gegeben hat, bereits sehr verschieden. In der gegenwärtigen Zeit haben sich viele Dinge gewandelt und ich bin davon überzeugt, das dies auch in Zukunft geschehen wird. Die Revolution gehört zum Dasein. Aber nicht ich werde es sein, der solche Änderungen herbei zwingt, sondern der orixá wird sie anordnen. Und, was die Tieropfer betrifft, haben wir ja auch bestimmte Alternativen, z.B. Fisch, farofa de inhame, Früchte, dies sind bereits einige Alternativen. Aber es verändert sich stufenweise. Der Candomblé arbeitet jedoch nicht auf die Art, dass er sich einfach den Regeln der Gesellschaft unterwürfe. Er hat seine eigenen Regeln und seine eigene Zeit. Der orixá duldet nichts, was man ihm kurzerhand überstülpen möchte. Eher verweigert er sich als dass er etwas akzeptierte, was man ihm aufzwingen will. Niemand kann vor den orixá hintreten und sagen: Ich möchte dieses oder jenes tun, oder: von nun an wird es soundso gemacht! Man kann den orixá bitten, man kann ihn anflehen. Wenn sich etwas ändert, geht es stets vom orixá selbst aus, das ist genau so wie mit Gott in der Kirche."