Donnerstag, 26. Februar 2009

Symbiose und Synkretismus


Weder der Indio noch der Sklave aus Afrika, die zur Kolonialzeit abrupt aus ihrem herkömmlichen Leben gerissen wurden, um sogleich unversehens mit der Welt der Europäer konfrontiert zu werden, waren in der Lage, die offizielle Religion der spanischen Eroberer oder der portugiesischen Kolonisten, den Katholizismus, der auch für sie nun obligatorisch war, zu begreifen. Wenn sie von den Weißen bezüglich ihrer religiösen Gepflogenheiten zur Rede gestellt wurden, zogen sie es vor zu sagen, sie gäben sich dem katholischen Heiligenkult hin. Auf diesem Hintergrund muß man realistischerweise die Fusion (fusão de crenças e divindades) unterschiedlicher Glaubensinhalte und ihrer diversen Glaubensobjekte sehen. Manchmal handelte es sich anstelle einer Fusion eher um eine confusão, die im „Land des wahren Kreuzes" von Anfang an stattgefunden hatte. Zu einer solchen Konfusion trugen die Patres ein gutes Stück selbst bei, z. B. indem sie die indianische Gottheit Tupã (die - nur ein Abkömmling des höchsten Gottes der guaranies - auf den stürmischen Böen des Windes reitet) mit Gott dem Allerhöchsten gleichsetzten, obwohl dieser neben einigen anderen Gottheiten und himmlischen Heroen - obgleich hochrangig - zu den eher untergeordneten Gottwesen der guaranies zählte. Tupã ist bis heute die Bezeichnung des Gottes der Christen in der Sprache des guaranies. Im Verlauf einer ganz oberflächlichen evangelización durch die Patres kam es immer wieder zu synkretistischen Verwirrungen in Bezug auf das Pantheon der Eingeborenen. Ähnliches geschah mit der mythischen Figur der guaranies „Añag", den die Jesuiten kurzerhand mit dem Teufel ihrer eigenen Mythologie gleichsetzten. Den Erlöser Jesus Christus setzten sie gleich mit einem der Pa‘i Guasu, einem berühmten Schamanen aus der Vergangenheit des Volkes der guaranies, und machten ihn damit zu einem der messianischen Heilbringer der mythischen Tradition, ebenso wie sie naiv das biblische Paradies mit der Tierra Sin Mal - dem von den guaranies erträumten Reich ohne das Böse - identifizierten. (Bartolomé, 1991:81f.)

Der im Vergleich zu den índios intellektuell besser entwickelte Afrikaner besass noch eine Erinnerung an das Wirken einzelner unterschiedlicher religiöser Gruppen in seiner angestammten Heimat. Diese Erinnerung veranlasste ihn dazu, beispielsweise die traditionellen Initiationsriten gerade in der Fremde wieder aufzunehmen. Auf diese Weise entstanden in der Sklaverei Geheimgesellschaften, die vielleicht vage mit der Freimauerei verglichen werden dürfen. In diesem Zusammenhang ist es interessant zu wissen, dass eine strikte Regel des traditionellen Ahnenkults lautet, dass eine Familie, die ihre Ahnen verehren möchte, dieses unter der allerstrengsten Geheimhaltung tun müsse. Jedes einzelne Familienmitglied muss beim Beten dafür Sorge tragen, dass es auch tatsächlich alleine ist. Schließlich beinhaltet die Anrufung der Ahnen auch Bitten, in denen feindlichen Personen oder Gruppen Unheil gewünscht wird. Jorge Amado merkte einmal an, dass es in Bahia eine kleine Gruppe geschlossener und unzugänglicher Candomblés gebe, die dem Kult der Eguns - das sind Geister der „Urahnen" - gewidmet seien. Dabei handle es sich um Candomblés der Nation ketu, die sich dem Totenkult verschrieben hätten. Der originäre Kult war mit einem mächtigen Baum, einem Symbol der Kraft des Bodens, verbunden. Solche, als Kultplatz dienende gigantischen Bäume kann man auf dem afrikanischen Kontinent vielerorts noch heute antreffen. Die Eguns bildeten eine geheime Gesellschaft im Rahmen eines Familienclans, wie sie noch heutzutage in Afrika - innerhalb der Kultur der Iorubás - existiere. In Bahia gibt es zwei Zentren dieser Sekte auf der Insel Itaparica. Infolge strenger Tabus, die es den Kultmitgliedern verbieten, Näheres über den Totenkult auszuplaudern, stehen nur sehr spärliche Informationen darüber zur Verfügung. „Was hinter verschlossenen Türen geschieht, wird von niemandem verraten." (Santos/Reginaldo 1996 : 108) Nach Roger Bastide handelt es sich bei den eguns um „Erscheinungen" (daher auch der terminus „Gespenster"), im Gegensatz zu den Manifestationen der orixás. Unter den gêge und nagôu werden die beiden Kulte, nämlich die Ahnenverehrung und die Anbetung der Gottheiten, streng auseinander gehalten. Sie dürfen nicht miteinander vermischt werden. Den Adepten des Cabdomblé ist es wohl gestattet, an Festen des êgun teilzunehmen; sie dürfen auch Opfergaben darbringen, doch kein pai-de-santo und keine mãe-de-santo würde in ihrem terreiro jemals den Êgun-Kult ausüben. Wer einer roça, als welche eine Candomblé-Kultstätte manchmal auch bezeichnet wird, vorsteht, darf nicht mit den êguns arbeiten.

Was den Kult der orixás - Archetypen einer Aktivität oder Funktion bzw. Kräfte, welche die Natur und ihre Erscheinungen wie Gewässer, Wind, Wälder, Blitz usw. kontrollieren - betrifft, waren und sind die Anhänger der afro-brasilianischen Religionen nicht so rigoros wie bei der Isolierung des Kultes der êguns. In der Wildnis Brasiliens tauschten negros und índios ohne Vorbehalt ihr Wissen aus. So lernten einerseits die índios die Geheimnisse der afrikanischen Magie, während die negros vom índio die Magie des sertão kennenlernte. Beide Weisen der Magie haben sich profund zu einer einzigen magischen Vorstellungswelt vereinigt, woraus sich am Ende grundlegende Modifikationen der ursprünglichen afrikanischen und gleichzeitig auch der originären indianischen Kulte ergaben. Dabei darf jedoch auch die Tatsache nicht übersehen werden, dass vor der Vermischung indigener und afrikanischer Elemente bereits ein „Austausch" zwischen dem iberisch-lusitanischen Katholizismus und dem indigenen Schamanismus stattgefunden hatte. Die índios vermeinten in den Manifestationen des christliche Glaubens durch die Missionare bestimmte Elemente wiederzuerkennen, die ihnen aus ihrer eigenen Kultur geläufig waren, was letztlich die Akkulturation im spanisch-portugiesischen Volkskatholizismus erleichterte. Andererseits wissen wir aus der Geschichte der Jesuitenreduktionen sehr wohl, dass auch die Missionare aus didaktischen und pädagogischen Gründen bestimmte Elemente aus der indigenen Kultur, sozusagen zur „Anknüpfung", wie man es in der Missionstheologie zu nennen pflegt, übernommen haben, beispielsweise verschiedene Tänze und Gesänge. Bei der Übertragung indigener Elemente in die afro-brasilianischen Kulte spielte also einerseits gerade die Kirche eine wichtige Mediatorenrolle, während andererseits die Selbstverständlichkeit der Vermischung afrikanischer Gottheiten mit den Geistern der Eingeborenen den synkretistischen Prozess, der spätestens im 17. Jh. seinen Anfang genommen hatte, ganz wesentlich unterstützte. Nach der Befreiung der Sklaven kamen im Nordosten die candomblés de caboclo auf. Dabei ist nicht zu übersehen, dass in den Adern der Mehrheit der Bevölkerung von Bahia, Sergipe, Alagoas, Pernambuco, Ceará, Maranhão etc. ein kräftiger Schuss Cabocloblutes pulsiert. Der Hauptgrund für die Entwicklung des Kultes im Sinne des candomblé de caboclo war der Ahnenkult. In dieser Hinsicht bestand volle Übereinstimmung des Glaubens mit den Indios, beide glaubten sie an Familiengeister. Das war der erste Schritt in Richtung auf den Spiritismus. Daraus erwuchsen dann sessões de caboclo. Gleichzeitig konsolidierte sich der Heilige - santo -aus der katholischen Volksfrömmigkeit und wurde als orixá - eine Art himmlischer Helfer - in den Kult einbezogen. Nach Willeke wurde der von den heidnischen Indianern gepflegte Ahnenkult durch die von den Franziskanern bereits recht früh eingeführten religiösen Bruderschaften in christliche Kulte integriert. (Willeke, 1974: 63) Dies bestätigt, was nebenbei angemerkt werden darf, die Feststellung Biebingers, der brasilianische Katholizismus ließe sich aus phänomenologischer Perspektive „als das geschichtliche Produkt des Aufeinandertreffens dreier Kulturkreise fassen: des christlich-lusitanischen, des traditional-afrikanischen und des indianischen, wobei die Auseinandersetzung mit den vorherrschenden geistesgeschichtlichen und ideologischen Strömungen der jeweiligen Epoche ihm das eigentümliche Gepräge gibt." (Biebinger, 2000: 10)

Schließen wir diesen Komplex. Indem wir uns noch einmal an das schöne Wort Johann Gottfried Herders erinnern (Herder Lesebuch, Zum 250. Geburtstag, Hrsg. Siegfried Sunnus, Frankfurt 1994, p. 153):

„Die Religion ist die älteste und heiligste Tradition der Erde. Die Religion findet sich selbst unter Menschen, die auf den abgelegensten Inseln und in tiefster Armut leben. Doch es ist nicht so, dass jeder dieser Wilden seinen Gottedienst wie eine natürliche Theologie erfunden habe. Diese Mühseligen erfinden nichts; sie folgen in allem der Tradition ihrer Väter. Auch gab ihnen von außen zu dieser Erfindung nichts Anlass: denn wenn sie Pfeil und Bogen, Angel und Kleid den Tieren oder der Natur ablernten; welchem Tier, welchem Naturgegenstande sahen sie Religion ab? Tradition ist also auch hier die fortpflanzende Mutter, wie ihrer Sprache und wenigen Kultur, so auch ihrer Religion und heiligen Gebräuche. Religion, so verschieden ihre Hülle sei; auch unter dem ärmsten, rohen Volk am Rande der Erde finden sich ihre Spuren."


Literatur:

Ball, Edward, Die Plantagen am Cooper-River, Eine Südstaaten-Dynastie und ihre Sklaven, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt, 2001
Bartolomé, Miguel Alberto, Chamanismo y Religion entre los Ava-Katu-Ete, Asunción 1991
Biebinger, Frank, Auf der Suche nach Gottes Angesicht, Candomblé und Katholizismus im Dialog, Eine Fallstudie, Dietrich Reimer Verlag GmbH, Berlin 2000
Dias, Jill R., África, Nas Vésperas do Mundo Moderno, Resobal - Cacém 1992
Frikel, Protásio, Traços da Doutrina Gêge e Nagôu sobre a Crença na Alma, in Egon Schaden, Homem, Cultura e Sociedade no Brasil, Petrópolis 1972
Grubb, W. Barbrooke, Un Pueblo Desconocido en Tierra Desconocida, (An unknown people in an unknown land; 1. ed. 1911; 2. ed. 1925 London), Asunción 1993
Koch, Heidi, Ahnen, Geister und Lebensbäume in Zeit für Mission, Magazin Mission, Neuendettelsau 1/2002
Martin, Gabriela, A Morte - O RITO E A VIDA ESPIRITUAL, in Hara Hélio (Org.), ANTES, Histórias da Pré-História, Catálogo Centro Cultural Banco do Brasil São Paulo, 2004
Pilhofer, D. Georg, Die Geschichte der Neuendettelsauer Mission in Neuguinea, Neuendettelsau 1961
Ramos, Arthur, O Negrio Brasileiro, Etnografia Religiosa e Psicanálise, Recife 1988, 2, Ed. Fac-Similar (Rio de Janeiro 1934)
Ratschow, Carl Heinz, Magie und Religion, Gütersloh, 1947
Santos, Acácio S. Almeida/Lucilene Reginaldo, Irmãs da Boa Morte, Senhoras do Segredo, in: Lima, Tânia, Sincretismo Religioso, O Ritual Afro, Anais do IV Congresso Afro-Brasileiro Recife, maio 1994, Vol. 4, Recife 1996
Schaden, Egon, Homem, Cultura e Sociedade no Brasil, Petrópolis 1972
Scholl-Latour, Peter, Afrikanische Totenklage, München 2001
Willeke, Venâncio OFM, Missões Franciscanas no Brasil 1500 - 1975, Petrópolis 1974

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